Wenn Deine Katze jagt – ob draußen im Garten oder drinnen im Spiel – folgt sie keinem Zufall. Sie folgt einem inneren „Plan“, das ihr Verhalten prägt. Auch dann, wenn sie nicht auf echte Beute trifft.
Viele Menschen stehen verwundert vor einer lebend angeschleppten Maus. Oder sie beobachten, wie ihre Katze Spielzeuge scheinbar ziellos durchs Zimmer jagt – manchmal stundenlang. Oft tauchen dabei Fragen auf:
- Warum jagt meine Katze überhaupt – auch wenn sie gerade gefressen hat?
- Was genau passiert beim Jagen? Und warum läuft es manchmal „wie im Film“ ab – von Anschleichen bis Zugreifen?
- Was bedeutet das für den Alltag mit meiner Katze – im Spiel, in der Beschäftigung, im Zusammenleben?
In diesem Beitrag findest Du erste Antworten auf genau diese Fragen. Du bekommst einen fundierten Überblick darüber, wie Jagdverhalten entsteht, wie es aufgebaut ist – und wie Du es bei Deiner eigenen Katze besser erkennen und einordnen kannst.
Dabei schauen wir nicht nur auf das Verhalten an der Oberfläche, sondern auch auf das, was darunter liegt: auf Lernprozesse, Bedürfnisse – und auf das, was Deine Katze individuell ausmacht.
Denn wer versteht, was im Jagdverhalten alles mitschwingt, sieht Katzen mit neuen Augen. Und kann gezielter auf das eingehen, was sie wirklich brauchen und das Jagdspiel zu einem täglichen Highlight seiner Katze machen.
Warum jagen Katzen- auch wenn sie satt sind?
Jagen dient der Nahrungsaufnahme – also dem Überleben. Simpel, wie es scheint. Doch so einfach ist das nicht.
Katzen sind strikte Fleischfresser (Karnivoren). Ihr Körper ist nicht in der Lage, pflanzliche Nahrung ausreichend zu verwerten. Um lebenswichtige Nährstoffe wie Taurin, Arachidonsäure oder bestimmte Vitamine aufzunehmen, sind sie vollständig auf tierische Beute angewiesen. Ohne Jagderfolg kein Überleben.
Doch der Jagdtrieb der Katze endet nicht mit einem gefüllten Magen. Das Jagdverhalten ist unabhängig vom akuten Hungergefühl. Der Grund dafür ist einfach – aber genial: In freier Wildbahn weiß die Katze nie, wann sich die nächste Gelegenheit zum Beutemachen ergibt. Würde sie erst dann zu jagen beginnen, wenn der Hunger zu groß ist, geriete ihr Körper in Stress – und Stress mindert Konzentration und Erfolgschancen. Deshalb kehrt der Jagdimpuls oft schon lange vor dem Hungergefühl zurück.
Selbst gut versorgte Hauskatzen zeigen daher ausgeprägtes Jagdverhalten – täglich. Nicht, weil sie ein „Hobby“ ausleben, sondern weil der innere Plan sie dazu anleitet, ihre Fähigkeiten zu erhalten und zu perfektionieren. Jede Jagd ist Training – ob mit echter Beute oder mit einem Spielzeug. Vergleichbar mit einem Sportler, der auch ohne Wettkampf täglich übt, um seine Leistung aufrechtzuerhalten.
Jagdverhalten ist kein „simpler Instinkt“, der bei passender Gelegenheit einfach abläuft. Es ist ein hochkomplexer, fein abgestimmter Prozess, der nicht nur körperlich beansprucht, sondern auch emotional tief verankert ist.
Denn Jagen bedeutet Bewegung, Konzentration, Reaktion – kurz: ein vollständiges körperliches und mentales Programm. Dabei werden Endorphine und andere Glückshormone ausgeschüttet, die ein Gefühl von Wohlbefinden erzeugen. Gelingt die Jagd, wird dieses Gefühl noch verstärkt. Es ist, als würde die Katze sich selbst bestätigen: „Ich kann mich versorgen. Ich bin schnell. Ich bin stark. Ich bin gesund.“
Diese Rückmeldung – eine Art „innerer Applaus“ – wirkt bestärkend und motivierend. Sie erhöht nicht nur das Selbstwirksamkeitserleben einer Katze, sondern kann auch Stress abbauen, das emotionale Gleichgewicht stabilisieren und für Ausgeglichenheit im Alltag sorgen. Genau deshalb ist Jagdverhalten nicht nur tolerierbar, sondern zentral für das seelische und körperliche Wohlbefinden Deiner Katze – auch dann, wenn sie nie echte Beute erlegen muss. Jagen bestätigt Deine Katze in ihrer Kraft und gehört zum täglichen Leben mit Katze dazu!
Das Jagdverhalten der Katze ist kein starres Instinktprogramm, das einfach „eingeschaltet“ wird, sobald sie Beute sieht. Vielmehr handelt es sich um ein genetisch verankertes, aber erfahrungsabhängig reifendes Verhaltensrepertoire, das im Laufe der frühen Entwicklung Schritt für Schritt aufgebaut, verfeinert und individuell geprägt wird.
Wie aus kleinen Kitten große Jäger werden
Spielend zum Profi
Bereits ab der dritten Lebenswoche zeigen Kitten erste jagdähnliche Bewegungsmuster: Sie verfolgen ihre Wurfgeschwister, üben sich im Anspringen und Zubeißen – scheinbar spielerisch, doch in Wirklichkeit hochfunktional. Diese Spiele dienen der Verknüpfung einzelner Jagdelemente: Auflauern, Anschleichen, Anpirschen, Anspringen, Festhalten, Töten. Anfangs erscheinen diese noch ungeordnet und unpräzise, doch mit wachsender motorischer Kontrolle und Wiederholung im Spiel werden sie zunehmend harmonischer und effektiver. Bis zur achten Woche haben viele Kitten bereits gelernt, ernsthafte Bisse zu setzen – nicht aus Aggression, sondern als Teil ihrer natürlichen Verhaltensentwicklung.
Diese Reifung ist vergleichbar mit dem kindlichen Erwerb komplexer Bewegungsabläufe: Erst durch vielfältige, regelmäßig wiederholte Erfahrungen im Spiel und in der Auseinandersetzung mit der Umwelt reifen gezielte, kontrollierte Handlungen heran.
Muttis Meisterklasse
Entscheidend für die Qualität des Jagdverhaltens ist aber nicht nur das Spiel der Jungtiere untereinander – auch die Mutterkatze spielt eine zentrale Rolle in der „Ausbildung zur Mäusejägerin“.
Etwa ab der fünften Lebenswoche beginnt sie, ihren Jungen erlegte Beute mitzubringen. Mit einem charakteristischen Laut ruft sie die Kitten herbei, die sich zunächst neugierig, dann zunehmend gezielter mit der Beute auseinandersetzen. Anfangs steht das Erkunden und „Beschnuppern“ im Vordergrund – das eigentliche Fressen erfolgt meist noch durch die Mutter selbst. Doch mit wachsendem Interesse und zunehmender Koordination beginnen die Kitten, die Beute spielerisch zu bearbeiten – ein entscheidender Lernschritt.
In den weiteren Wochen bringt die Mutter lebende Beutetiere. Das ist für uns manchmal schwer zu beobachten, erfüllt jedoch einen wichtigen Zweck: Die Kitten lernen, wie sich Beute bewegt, wie sie darauf reagieren müssen und wie sie trotz Aufregung präzise agieren können. Dabei hält sich die Mutter zunächst bewusst zurück, greift kaum ein – sie lässt ihre Kitten durch Beobachtung und Erfahrung lernen. Das soziale Lernen im Wurf, also durch Konkurrenz, Nachahmung und Versuch-Irrtum-Prozesse unter Geschwistern, ist dabei besonders effektiv.
Reifen die jagdlichen Fähigkeiten der Kitten heran, beginnt auch die Mutter, gezielter ins Geschehen einzugreifen. Sie nimmt ihren Jungen die Beute auch mal direkt vor der Nase weg, um Konkurrenzdruck zu erzeugen. Diese Herausforderung erhöht die Motivation, fördert Ausdauer und Reaktionsgeschwindigkeit und beschleunigt dadurch die Weiterentwicklung der jagdlichen Fähigkeiten. Die Kitten lernen unter realen Bedingungen, mit Druck und Frust umzugehen, sich zu beherrschen, zu behaupten und ihr Jagdverhalten weiter zu optimieren.
Interessanterweise zeigt die Forschung, dass auch Katzen, die in ihrer Jugend keine reale Beute kennengelernt haben, im späteren Leben ein vergleichbares Jagdgeschick entwickeln können. Der genetisch angelegte „Bauplan“ ermöglicht eine enorme Lernfähigkeit und individuelle Anpassung – ganz gleich, ob an lebender oder an künstlicher Beute geübt wird. Dennoch profitieren besonders sicher und effizient jagende Katzen meist von früher Lernerfahrung unter realen Bedingungen.
Wie das Jagdverhalten unserer Katze ihr zum Verhängnis wurde
Unsere domestizierte Katze bevorzugt Beutetiere, die deutlich kleiner ist, als sie selbst. Die häufigste Beute, kleine Säugetiere, bringt zwischen 10g und 40g auf die Waage. Es ist leicht vorstellbar, dass ein derart kleines Tier sich schwer zwischen mehreren Katzen aufteilen lässt. Daher ist unsere Hauskatze ein solitärer Jäger. Zudem muss sie, angepasst an die Vorkommnisse und Eigenschaften ihrer Beute, äußerst vorsichtig und leise in ihrer Jagd vorgehen. Jeder weitere Jäger könnte die kleine Beute frühzeitig warnen und damit den Jagderfolg verhindern und das eigene Überleben gefährden. Doch diese Tatsache wurde in der Vergangenheit oft falsch interpretiert: Man schloss daraus, dass Katzen generell keine sozialen Wesen seien. Das Gegenteil ist der Fall. Katzen verfügen über eine ausgeprägte soziale Flexibilität. Sie sind in der Lage, sowohl allein als auch in Gemeinschaft zu leben – abhängig von Ressourcen, Platzangebot und Sozialerfahrung. Besonders unter günstigen Haltungsbedingungen oder im Mehrkatzenhaushalt zeigen sie ein reiches Repertoire an sozialen Verhaltensweisen: gemeinsames Ruhen, gegenseitige Fellpflege (Allogrooming), spielerisches Interagieren und sogar Futterteilung.
Der Irrtum vom „Einzelgänger Katze“ entstand also aus einer falschen Verknüpfung von Jagdverhalten und Sozialverhalten. Richtig wäre: Katzen sind Einzeljäger – aber keine Einzelgänger!
Jagdverhalten ist kein „Extra“- es gehört zur „Grundausstattung“
Wenn eine Katze ihr natürliches Jagdverhalten nicht ausleben kann, wirkt sich das auf mehreren Ebenen aus. Körperlich kann sie träge und übergewichtig werden, emotional zeigen sich Frustration, Langeweile, Reizbarkeit oder Rückzug – nicht selten entwickelt sich sogar depressives Verhalten. Auf kognitiver Ebene fehlt die Herausforderung: Die Katze „verlernt“ etliche ihrer wichtigsten Fähigkeiten, stumpft ab, wird passiv.
Die Folge ist, dass diese Katze ihren Frust und ihre Energien umlenkt, z. B. in Verhaltensauffälligkeiten wie Unsauberkeit, Aggressionen, übermäßiges Kratzen an Möbeln, nächtliches Herumtoben oder vermehrtes Miauen – all das sind Hilferufe einer Katze, die sich in ihrer Umwelt nicht als wirksam erlebt und dadurch unsicher wird.
Der Versuch, Jagdverhalten zu unterbinden – etwa durch Spielentzug oder Ignorieren – ist nicht nur fachlich unbegründet, sondern für das Tier tief frustrierend und führt unweigerlich zu Problemen, wie eben beschrieben. Leider hörte man diesen Rat immer mal wieder. Und auch ich habe ihn tatsächlich schon öfters gehört – und halte ihn für gefährlich. Er zeugt schlichtweg von Unwissenheit und geht an den Bedürfnissen der Katze völlig vorbei. Dagegen ist Jagen kein „Problemverhalten“, sondern Ausdruck einer gesunden, aktiven Katze.
Was das Verständnis über das Jagdverhalten für uns als Katzeneltern bedeutet
Wenn wir uns entscheiden, eine Katze in unsere Familie aufzunehmen, tragen wir die Verantwortung, ihr täglich Raum für jagdtypisches Verhalten zu geben – spielerisch, kreativ, artgerecht. Das ist keine Kür, sondern Pflicht. Und es geht dabei nicht nur um Bewegung, sondern um verantwortungsbewusste Katzenhaltung und um Lebensqualität: Unsere Katze darf und muss erleben, dass sie in ihrer Welt wirksam, kompetent und lebendig ist. Wir brauchen keine Mäuse frei zu lassen, die sie erlegen soll, aber wir können unser Jagdspiel mit ihr so gestalten, dass sie ihre natürlichen Bedürfnisse ausleben darf.
Dafür braucht es kein teures Spielzeug, sondern das richtige. Außerdem Zeit, Wissen, Beobachtungsgabe, ein wenig Kreativität- und unsere Bereitschaft, unsere eigenen Erwartungen und bisherigen Denkmuster zu hinterfragen. Nicht jede Katze will oder kann sofort spielen bzw. jagen. Auch die Rahmenbedingungen spielen eine Rolle: In den meisten Fällen solltest Du mit jeder Deiner Katzen einzeln spielen – denn nur wenige Katzen sind tatsächlich so eng befreundet, um gemeinsam zu jagen. Das Spiel wird so individueller, intensiver – und stressfreier. Und: Auch unsere Katze muss lernen, sich auf die individuelle Note unseres Jagdspiels einzulassen: Das gemeinsame Jagdspiel trägt somit unweigerlich zu einer intensiveren Beziehung zwischen Dir und Deiner Katze bei. Gleichzeitig lohnt sich ein wachsamer Blick: Verändert sich das Spielverhalten Deiner Katze, kann das auch Hinweise auf Stress, gesundheitliche Probleme oder Altersprozesse geben – Spiel ist in dem Fall ein wichtiger Indikator für das Wohlbefinden Deiner Katze.
Ich lade Dich ein, diese Reise zu beginnen: Wie spielt Deine Katze? Worauf hat sie ganz besonders Lust? Wann ist sie ganz in ihrem Element?
In kommenden Beiträgen nehme ich Dich Stück für Stück mit. Wir schauen uns die einzelnen Elemente der Jagd an und übertragen unser Wissen auf das Jagdspiel mit Deiner Katze- und gemeinsam machen wir aus eurem Spiel ein tägliches Highlight in euer Beziehungszeit.
Wer versteht, warum und wie eine Katze jagt, beginnt, sie ganz neu zu sehen – und kann ihr nicht nur die Erfahrung einer tiefen, respektvollen Beziehung auf Augenhöhe schenken, sondern auch frühzeitig Hinweise auf Schmerzen oder Veränderungen, wie z.B. Krankheiten, Alterungsprozesse, Disharmonien im Mehrkatzenhaushalt erkennen.
Bist Du unsicher, wie Du das Jagd- und Spielverhalten Deiner Katze richtig einordnen sollst?
Vielleicht hast Du das Gefühl, Deine Katze hat keine Lust zu spielen – oder sie reagiert nur kurz und verliert dann sofort das Interesse? Gerade beim Jagdspiel lohnt sich ein genauer Blick: Viele Katzen zeigen nur vermeintlich wenig Spielverhalten – in Wahrheit passt das Angebot oft nicht zu ihrer bevorzugten Jagdstrategie.
Wenn Du Dir unsicher bist oder Fragen hast – bin ich gerne für Dich da!
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